Was ist ein Stadtquartier? Das Fachgebiet Stadtquartierplanung möchte in einer auf mehrere Semester angelegte Seminarreihe der Frage nachgehen, wie man Stadtquartiere definieren und von einander abgrenzen kann. Anhand eines Städtebaukastens mit digitalen Werkzeugen soll, unter breiter Mitwirkung der Stadtakteure und der lokalen Bevölkerung, untersucht werden, aus welchen Quartieren Ettlingen besteht, was diese Quartiere auszeichnet und wie diese Einteilung in Quartiere die zukünftige Stadtplanung in Ettlingen beeinflussen könnte. Das städtebauliche Werkzeugkit bietet Methoden und Instrumente zu Quartiersanalysen, Beteiligungsformaten und Planungsstudien.
Allgemeine Erkenntnisse der Quartiersdefinition
Betrachtet man die Ergebnisse aller Gruppen, zeichnen sich drei unterschiedliche Kategorien von Prämissen oder Eigenschaften ab, die zumindest teilweise gegeben sein müssen, um ein städtisches Areal als ein Stadtquartier bezeichnen zu können:
- ein relativ eigenständiges Teilsystem innerhalb der Stadt
- abgrenzende Faktoren nach außen
- verbindende Faktoren nach innen
Nach den Ergebnissen von Ettlingen zu urteilen, scheint es so zu sein, dass aus jeder Kategorie mindestens eine der Prämissen nicht aber alle gegeben sein müssen. Folgende Prämissen können den drei Kategorien nach jetzigem Kentnissstand zugeordnet werden:
Ein relativ eigenständiges Teilsystem innerhalb der Stadt
- funktionsfähige Zentren, markante Versammlungsstätten und Identitätsstifter wie Gebäude, Plätze, Parks etc.
- Orte für die Realisierung der alltäglichen Lebensvollzüge
- alle wichtigen Angebote eines Quartiers sind fußläufig erreichbar (5min-Stadt)
Abgrenzende Faktoren nach außen
- Natürliche Grenzen wie Flüsse, Topographie etc.
- Physische (harte) Grenzen wie Bahngleise, stark frequentierte Straßen, Einfriedungen etc.
- Weiche Grenzen wie optische Brüche in der Typologie, ein wahrnehmbar unterschiedliches Entstehungsalter benachbarter Quartiere, identifizierbare Unterschiede in der Sozialstruktur, Orientierung von Gebäuden von einander weg (zwischen zwei Quartieren) etc.
- Abstandsflächen und Gliederung der Freiräume zwischen zwei Quartieren
- Eindeutig ablesbare Eingangssituationen der Quartiere
Verbindende Faktoren nach innen
- Einheitliche Gestaltung von Gebäuden, Vorzonen etc.
- Relativ homogene Sozialstruktur
- Orientierung der Gebäude zueinander
- Relativ homogenes Alter und einheitliche Architektursprache der Gebäude
- Quartiere als soziales Konstrukt ihrer Bewohner (bspw. ablesbar durch informelle Namensgebung, Identifikation mit dem Quartier)
Diesen Faktoren nach zu urteilen, können nicht stets alle Flächen einer Stadt einem Quartier zugeordnet werden. Dies scheint insbesondere der Fall zu sein, wenn sie eine übergeordnet große Rolle für die Gesamtstadt spielen (bspw. Versorgungsinseln) oder nur eine sehr einseitige Funktion übernehmen (bspw. Industrieareale). Darüberhinaus scheint es Teile zu geben, die zwar eindeutig als Quartiere bezeichnet werden müssen, und dennoch eine übergeordnete Rolle für die Gesamtstadt spielen (bspw. Altstadt-, Einkaufs-, „Ausgeh“-Viertel).
Interessant scheint auch die Hypothese einiger Studierender, es gebe abhängige und unabhängige Quartiere. Unabhängige Quartiere zeichneten sich dadurch aus, dass sie ihren Bewohnern ein nahezu vollständiges Angebot aller, aus der Kategorie „ein relativ eigenständiges Teilsystem innerhalb der Stadt“, genannten Prämissen böten, was vor allem durch ihre häufig periphäre Lage und der dadurch fehlenden Verbindung zu anderen Quartieren läge.
Demgegenüber zeichneten sich abhängige Quartiere durch eine unmittelbare Nähe zu anderen Quartieren aus (häufig der Innenstadt), wodurch sich die Bewohner deren Versorgungsangeboten bedienen könnten.
Bei den Befragungen fiel auf, dass die Identifikation mit dem eigenen Wohnumfeld steigt, je klarer dieses als Quartier von anderen abgegrenzt werden kann. Setzt man aus stadtsoziologischer Perspektive vorraus, dass Identifikation einen Einfluss auf Fragen wie Engagement im eigenen Wohnumfeld, Interesse am Erscheinungsbild des eigenen Umfelds etc. hat, kann über den Quartiersbegriff ein Zusammenhang zwischen städtebaulichen Maßnahmen und Fragen der Stadtsoziologie hergestellt werden. Diese, wie auch alle anderen Erkenntnisse dieses Fazits, sind aber als Hypothesen zu verstehen und bedürfen der weiteren Überprüfung.
Erkenntnisse für Ettlingen
Alle Gruppen haben einen Blick auf die Gesamtstadt gewagt und diese in Quartiere eingeteilt. Auffällig dabei ist, dass die Gruppen mit leichten Abweichungen zu relativ einheitlichen Ergebnissen gekommen sind, obwohl sie bei Ihrer Analyse unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben:
Gruppe A hat die Rolle der Alb für die unterschiedlichen angrenzenden Stadtquartiere untersucht (S. 12f), Gruppe B hat den Einfluss übergeordneter „Points of Interests“ auf die Stadt und ihre Quartiere untersucht (S. 17ff) und Gruppe E schlägt ein prozessuales Analyseverfahren vor, woraus konkrete Handlunsgempfehlungen für die Stadt abgeleitet werden (S. 66f).
Den wohl umfassendsten Blick auf die Gesamtstadt liefern die Ergebnisse von Gruppe C. Da diese die Ergebnisse der anderen Gruppen weitestgehend beinhalten, sollen nachfolgend und abschließend diese Ergebnisse dargestellt werden.
GESAMTKARTE
QUARTIERSEINTEILUNG ETTLINGEN
Übergeordnet vernetzt sich die Stadt Ettlingen (S.70f) über die Autobahn, die Rastatter Straße, Karlsruher Straße, Pforzheimer Straße, sowie Mörscherstraße und Rheinstraße mit umgebenden Städten (siehe Punktlinie).Über drei Stadteingänge mit der Bahn und drei Stadteingänge mit dem Auto erreicht man Ettlingen (siehe Stadtgrenze).
Die Stadt Ettlingen hat eine sehr starke und prägnante Altstadt, welche durch die Stadtmauern gefasst wird. Die Dichte und Höhe der Gebäude, die Architektursprache sowie die Alb bestimmen eindeutig die Identität und den Flair der Altstadt.
Die Alb durchkreuzt zwar die Altstadt, ist aber keineswegs ein trennendes, sondern vielmehr ein verbindendes Element, da vier Brücken gute Überquerungsmöglichkeiten bieten (siehe Pfeile). Außerhalb der Altstadt behält die Alb ihre Prägnanz und wird an manchen Bereichen über Grünräume gestärkt. Ausgehend vom Marktplatz spannt sich ein Netzwerk aus zahlreichen Ankerpunkten auf, die trotz ihrer Lage in den einzelnen Quartieren, Anlaufstellen für ganz Ettlingen bieten. Diese übergeordneten Anker vernetzen die Quartiere zu einer Stadt.
Der Gesamtkarte Ettlingen liegt ein abgestufter Nachbarschaftsbegriff zugrunde: Von der Stadt, zum Quartier, zum Teilsystem, zur Nachbarschaft und letztlich zum privaten Lebensraum. Es entsteht dabei ein Bild von Ettlingen, das innerhalb von Quartieren auch kleinere Einheiten besitzt (siehe dunkelbeige auf hellbeige Fläche) oder Bereiche, die zwar zu Ettlingen, aber nicht zu einem Quartier gehören (siehe grauer Untergrund).
Egal, ob Streuobstwiesen, Kleingartenanlagen, oder Parks- Ettlingen wird von einem grünen Ring umgeben. Hinzu kommt, dass Ettlingen am Fuße des Wattkopfes liegt. Durch diese topografische Begebenheit sitzt das Industriegebiet Ost in einem Taleinschnitt.
Auffallend ist, dass Ettlingen neben dem Stadtkern aus Altstadt und angrenzenden Quartieren, auch Quartiere beziehungsweise Gebiete bildet, die scheinbar nicht mehr zur Kernstadt gehören. Zu nennen sind hierbei u. a. Ettlingen West, welches als Schicksalsquartier zwischen Industriegebiet, Bahngleise und Autobahn bezeichnet wird sowie die im Osten und Westen liegenden Industriegebiete (siehe grauer Untergrund). Die im Industriegebiet Ost liegenden Wohngebiete wie die alte Spinnerei zählen durch ihre geringe Größe aber mehr zum Begriff der Nachbarschaft und bilden somit kein eigenständiges Quartier aus (siehe grauer Untergrund).
Die wahrnehmbare Stadtgrenze im Osten Ettlingens setzt ebenfalls mit Beginn des Industriegebiets ein. Die Alb als verbindendes Element wird östlich der Altstadt zu einem trennenden Element. Der „Vogelsang“ profitiert von seiner Lage am Wattkopf, ebenso wie das Gebiet um die Schöllbronner Straße. Zwischen den Partnerquartieren „Musikerviertel“ und „Am Horbachpark“ besteht eine Vernetzung über einen Grünzug mit Brücke. „Ettlingen West“ schließt über den prägnanten Kreisverkehr an das Industriegebiet West an (siehe Pfeile und rote Bögen).
Mittels dieser Beobachtungen, Analysen und Forschungen sind klar definierte Variablen und Voraussetzungen zur Eingrenzung und Beschreibung eines Stadtquartiers gegeben.