LOCUS SANITATEM - Eine Betrachtung der architektonischen Lesart der fragilen Lunge
Olivia Larsen
Der Einfluss der Tuberkulose auf den architektonischen Diskurs des beginnenden 20. Jahrhunderts zeigt, wie eng medizinische Bedürfnisse und architektonische Lösungen miteinander verknüpft sind und von welcher Bedeutung diese Verbindung für die Reaktion auf heutige gesellschaftspolitische Herausforderungen ist. Die historischen Konzepte und architektonischen Paradigmen bieten dabei wertvolle Grundlagen, um zeitgemäße Gestaltungsprinzipien zu entwickeln. Die Bedeutung von Tageslicht, Luftqualität und hygienischen Materialien wurde bereits in den Anfängen der Sanatoriums-Bewegung erkannt und markiert bis heute den Ausgangspunkt für die Ausbildung der medizinischen Architekturentwicklung. Die avantgardistische Architektur der Lungenheilstätten entbehrte zwar jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, fand jedoch mit der Weiterentwicklung der Medizinforschung über 100 Jahre später durchaus seine Daseinsberechtigung. Die architektonischen Leitlinien Licht, Luft, Sonne bilden weiterhin die Basis für den Umgang mit der Frage nach einem Ort für lungenkranke Patient:innen. Die Umdeutung des Verständnisses von Gesundheit und Krankheit bedingt automatisch eine Anpassung der Lesart und Interpretation von Architektur. Abweichend von einer heilenden Architektur geht es um die Bereitstellung von Innen- und Außenräumen, die die Patient:innen in ihrem Prozess im Umgang mit der Krankheit bestmöglich begleiten. Dementsprechend entstehen aus den Erkenntnissen der Untersuchung der historischen architektonischen Gestaltungsprinzipien und der Bewertung der Funktionalität dieser Maßgaben neue Grundordnungen, die als Grundlage in einem allgemeingültigen Schema je nach Anwendungsfall individuelle Gültigkeiten erhalten. Dadurch entsteht die Möglichkeit einer Umdeutung und damit einhergehend einer gesellschaftlichen Integration von Krankheit, die durch eine neue Denkart über das Verhältnis zwischen Innen und Außen definiert wird. Eine ganzheitliche Hei- lungsperspektive kann unter der Berücksichtigung des aktuellen medizinischen Forschungsgegenstands in ein architektonisches Konzept überführt werden.
EINFAMILIENHÄUSER IM WANDEL - Suffizienz als Grundlage für zukunftsfähige Wohnquartiere
Kyra Charlotte Brendel
Menschen verändern sich, Wohnungen nicht. So plakativ kann die Situation beschrieben werden. Wohnungen als Teil eines Einfamilienhauses sind dadurch geprägt, dass die Planung oft scheinbar unveränderlich auf einen sehr langen Zeitraum ausgelegt ist. Insbesondere bei der Neuplanung von Einfamilienhäusern wird zu wenig Augenmerk auf zukünftige Veränderungen gelegt. Die Lebenssituationen von Menschen dagegen ändern sich und somit passen die Nutzungen von Wohnungen oft nur unzureichend zur Lebenssituation der Bewohner.
Die Veränderung der Ansprüche der Bewohner an Wohnungen sind durch Veränderungen geprägt, wie beispielsweise das Erwachsenwerden der Kinder und damit verbundenem zusätzlichem individuellen Wohnraum, der Auszug der Kinder und die Nutzung der Wohnung durch die verbliebenen Eltern, das Älterwerden der Eltern und damit verbundenen veränderten Ansprüchen an die Wohnung selbst so wie beispielsweise die Gründung neuer Familien durch Heirat und die Geburt von Kindern, die zu einer Mehrgenerationennutzung eines Hauses führen kann.
Diese kurze Beschreibung soll ein Eindruck geben, unter welchen komplexen Veränderungen eine Nutzung einer Wohnung im Laufe der Jahre führen kann. Wohnbiografien beschreiben den Wandel der Nutzung von Wohngebäuden durch die Nutzer über die Generationen hinweg. Die Ansprüche der Nutzer sind einem Wandel untergeordnet, der durch die Veränderungen der Lebenssituationen und Lebensphasen bestimmt wird.
Am Anfang passt das Haus, später eben nicht mehr.
Ein Begriff, der die Zufriedenheit unter wirtschaftlichen, soziologischen und umweltorientierten, also nachhaltigen Aspekten beschreibt ist die Suffizienz.
LA SOLIDARITÉ - Eine Generationen verknüpfende Wohnstruktur
Anne Jensch
Gemeinsam leben und wohnen in Mehrgenerationenwohnprojekten heißt, einen Zusammenhalt von jung und alt wiederzufinden und neu zu gestalten. Gemeinschaftliches Wohnen ist ein Thema für alle Generationen. Es umfasst nach den Fragen wie und mit wem gewohnt wird auch Fragen nach dem Begriff der Gemeinschaft und wie sie gelebt werden soll. Außerdem sind Perspektiven im Alter und eine Auseinandersetzung mit dem altersgerechten Wohnen Themen, denen jeder Menschen früher oder später zwangsläufig begegnen wird. Der Entwurf beschäftigt sich daher eingehend mit der Frage wie unterschiedliche Altersstrukturen in Zukunft gemeinsam miteinander leben und wohnen können. Außerdem wird untersucht welche Strukturen und Qualitäten unterschiedliche Generationen benötigen, um allen Formen des Miteinanders und einer Verknüpfung von individueller Freiheit und gelebter Gemeinschaft gerecht zu werden.
Der Entwurf des Mehrgenerationenprojektes „La Solidarité“ befindet sich am Standort Rastatt im süddeutschen Baden-Württemberg. Das Gebiet Rastatt-Mitte bildet als zentrales Stadtviertel den Stadtkern der Barockstadt. Hier befindet sich das Schloss, das Rathaus, die Stadtverwaltung, ein Klinikum und zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, öffentliche sowie kulturelle Einrichtungen und Freizeitangebote. Auf dem gewählten Grundstück befindet sich das Martha-Jäger-Haus, das dort als Senioren- und Pflegeheim der Stadt Rastatt genutzt wurde, derzeit aber keine spezifische Nutzung aufweist.
Seit 1954 bot es dort die Pflege, Versorgung und Betreuung für ältere und bedürftige Bürger an und soll im Entwurf auch wieder in dieser Form genutzt werden. Durch das Setzen neuer Baukörper soll zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden, der in ruhiger und zentraler Stadtlage eine hohe Attraktivität auch für Familien aufweist. Barrierefreie Zugänge und altersgerechtes Wohnen in kleinen Apartments bilden ebenso einen Bestandteil des Konzepts. Ergänzende Gemeinschaftsbereiche befinden sich auf dem gesamten Grundstück und werden verknüpfend in die Wohnnutzung integriert. Das Einbinden und Verknüpfen der bestehenden Strukturen ist vor allem für die Integration der angrenzenden Nachbarschaften notwendig. Durch eine Verbindung der Erdgeschossflächen mit öffentlichen Angeboten des Alt- und Neubaus sowie einem zentralen Außenraum soll Fläche und Raum für Begegnungen und Möglichkeiten zum Austausch geschaffen werden.
Insgesamt wird der Entwurf als zirkulierendes Lebensmodell gedacht, das für alle generationenübergreifende Lebensphasen Möglichkeiten bietet, Teil einer verbundenen Gemeinschaft zu werden, zu sein und zu bleiben. Das Konzept stellt Verknüpfungen zwischen den Generationen her, schafft Begegnungsräume für eine soziale Gemeinschaft und bietet sowohl strukturelle als auch architektonisch nachhaltige Aneignungs- und Teilhabemöglichkeiten.