Was treibt die Planung?

Was treibt die Planung? Eine zeitbezogene Untersuchung von Abhängigkeiten in Quartiersentwicklungen
Dr. Yvonne Siegmund

Maßstabsübergreifende Dynamiken und unterschiedliche Interessen treiben Stadtentwicklungsprozesse fortwährend an. Stadtplanung versucht daher zunehmend mit Wandel und Beschleunigung, mit Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichem umzugehen. So wird bedarfsgerechter, nichtlinearer geplant und die zeitliche Dimension zu einem prozessgestaltenden Faktor: Ob Rapid Planning oder in der Beschleunigungsgesetzgebung, ob Cittàslow oder Slow Urbanism – Urbane Entwicklungsstrategien sind entweder beschleunigt und zielorientiert oder entschleunigt und prozessorientiert ausgestaltet. Mit der forschungsleitenden These wird behauptet, dass in nichtlinearen Entwicklungen, wie in explizit be- oder entschleunigten Prozessen, Ambivalenzen und Ambiguitäten stärker ausgeprägt sind. Daher bewegen sie sich tendenziell häufiger jenseits systemischer Grenzen, mit deren Überschreiten räumliche, prozessuale oder soziale Kompensationsmaßnahmen verbunden sind.
Geprüft wurde die These an Quartiersentwicklungen, die ihre Merkmale als express, im Turbo, slow, entschleunigt oder prozessoffen umschrieben. Räumlich-programmatische Charakteristika, prozessuale Merkmale und soziale Praktiken wurden erstmals zeitlich differenziert erforscht: Neben Geschwindigkeiten standen die Bedeutung weiterer Zeitaspekte (Ereignisse, Rhythmen, Zeiträume und Reihenfolgen) sowie von Eigenzeiten (von Akteuren, Räumen, Steuerungsinstrumenten) im Fokus.
Die Forschungsstrategie der Triangulation war mit dem Ziel verbunden, Typisches, Besonderheiten und Gegensätzliches vergleichend darzustellen. Mit Hilfe der Abduktiven Schlussweise wurden Sinnzusammenhänge dechiffriert und interpretiert. Mit dem kontrollierten Verfahren der Grounded Theory waren regelmäßige Feldforschungen (u.a. wiederkehrende teil-narrative Interviews und morphologische Analysen) verknüpft, um Veränderungen im Prozess, im Raum und in den Sichtweisen handelnder Akteure festzustellen. Der Erkenntnisweg führte vom erkannten Phänomen zur These und verdichtete sich zur Kernhypothese (Kompensieren – Synchronisieren – Schaukeln). 
Treiber, außerhalb des Einflussbereichs planender Institutionen, lenkten Quartiersentwicklungen entscheidend und mit darauf reagierenden Strategien wurden Bebauungsplanverfahren umgedreht, Gebäudelebenszyklen verlängert, genehmigungsrechtliche Grenzen überschritten. Alle Quartiere kompensieren als Druckventile oder Entschleunigungsoasen ihre nähere Umgebung. Die Einrichtung kommunikativer und koordinierender Schnittstellen, auch ihrer Modifikation und Verstetigung war notwendig, um Ziele und Handlungen zu synchronisieren.
Die Kernhypothese Quartiersentwicklungen sind Schaukelprozesse formuliert, in der Unberechenbarkeit eine Chance zu sehen, kontextbezogener, situativer und visionärer Stadt zu entwickeln, in lebendigen Prozessen zu verhandeln und zu jonglieren, Stabilität zu schaffen und Unsicherheit zuzulassen, zu synchronisieren, Mehrdeutigkeiten, Unterschiede und Widersprüche auszuhalten.

DOI: 10.34712/142.7
Kostenloser Downloadlink. https://repos.hcu-hamburg.de/handle/hcu/537